»Deutschland, es geht um Wachstum.«
- Angela Merkel
Deutsche Bundeskanzlerin
Die lebendige Natur wächst ständig. Jede Zelle und jede
Pflanze, jedes Tier und jeder Mensch, alle haben sie eines gemeinsam: Wachstum.
Innerhalb von sieben Jahren wachsen alle unsere Körperzellen nach. Das ist die
eine Hälfte der Wahrheit – hier die andere: Die lebendige Natur vergeht
ständig. In dem Maße, wie die neuen Zellen nachwachsen, sterben die alten ab.
Diesen Vorgang nennen wir den Kreislauf des Lebens, den Kreislauf von Werden
und Vergehen. Ohne Vergänglichkeit wäre unsere Erde schon längst aus allen
Nähten geplatzt. Der Kreislauf von Werden und Vergehen ist ein Garant dafür,
dass einerseits von allem genug da ist, andererseits alles Überflüssige
verschwindet. Ein sich selbst regulierendes System.
Was hat die Volkswirtschaftslehre davon gelernt? Leider gar
nichts! Der einseitige Wachstumswahn führt zu immer mehr Ausbeutung,
Umweltzerstörung, Verdrängungswettbewerb – und zu Krieg um die immer weniger
verbleibenden natürlichen Ressourcen. Vielleicht war das einseitige Wachstum
noch ganz sinnvoll, als nur wenige Menschen die Erde bevölkerten. Auf diese
Weise konnten sie sich über den ganzen Erdball ausbreiten. Doch wir wissen,
dass natürliche Systeme sich umstellen müssen, wenn sie an die Grenzen des
Wachstums stoßen. Versuchen sie weiter zu wachsen, kollabieren sie.
Auch hier zeigt uns die Natur, wie es geht. Das Zauberwort
heißt Symbiose. Die verschiedenen Mitglieder eines Ökosystems kooperieren zum
Wohle aller und erhalten dadurch ihre gemeinsame Lebensgrundlage. So offensichtlich
das ist, so wenig wird es von uns Menschen beherzigt. Noch immer preisen unsere
Politiker das Wirtschaftswachstum als das höchste Gut. Ja sie preisen sogar den
Wachstums-Wettbewerb unter den Völkern: Ein Land mit hohen Wachstumsraten genießt
in der Welt ein hohes Ansehen und bei den Banken eine gute Bonität. Das Wort
Bonität kommt vom lateinischen Wort »bonus«, das heißt »gut«.
Mit dem Begriff »Wirtschaftswachstum« ist natürlich nicht
der Kreislauf von Werden und Vergehen gemeint. Denn nach dem Nullsummenprinzip
würde die Vergänglichkeit vom Wachstum abgezogen. Ein Unternehmen das
gleichzeitig wächst und schrumpft, das sich also stetig erneuert und dadurch
gesund erhält, würde in der Bilanz nicht als wachsend wahrgenommen werden,
sondern als stagnierend. Und Stagnation bedeutet Rückschritt in einem von
Konkurrenz umkämpften Markt.
»Wachstum um des Wachstums willen ist die Ideologie der
Krebszelle.«
– Edward Abbey
am. Naturforscher,
Philosoph und Schriftsteller
Bestimmt kennen Sie die Exponentialfunktion. Vielleicht
nicht dem Namen nach, aber Sie kennen ihre Auswirkung. Stellen Sie sich eine
Scheibe Brot vor, die im Brotkasten liegt. Eine Schimmel-Spore hat sich dort
niedergelassen. Nun beginnt der Pilz zu wachsen. Nehmen wir an, dass sich seine
Größe nach einer Stunde verdoppelt. Nach zwei Stunden ist er vier-, dann acht-,
sechzehn-, zweiunddreißig- und nach zehn Stunden tausendmal so groß geworden.
Die Größe vertausendfacht sich nach zehn Verdoppelungen.
Bis jetzt ist vielleicht noch gar nichts zu sehen. Doch es
geht weiter: zweitausend, viertausend, achttausend... und nach insgesamt
zwanzig Verdoppelungen sind wir bei einer Million. Irgendwann kommt der
Zeitpunkt, wo man den ersten Schimmel sehen kann. Von da an ist nichts mehr zu
retten, und es dauert nicht mehr lange, bis das Brot komplett verschimmelt ist.
Drei Phasen kennzeichnen die Exponentialfunktion:
- Zunächst sieht man eine lange Zeit gar nichts.
- Dann beginnt man etwas zu sehen
- Dann geht es ganz schnell – bis an die Grenzen des Wachstums.
Ein weiteres Beispiel: in einen wunderschönen See lässt im
Frühjahr ein Vogel etwas fallen. Darin befindet sich der Same einer aggressiven
Seerosenart. Die Seerose hat die Eigenschaft, sich innerhalb einer Woche zu
verdoppeln. Zunächst ist es eine, dann zwei, dann vier... und nach zehn Wochen
tausend Seerosen. Noch sieht das alles sehr schön aus. Doch nach insgesamt fünf
Monaten, inzwischen ist es August, sind es schon eine Million. Etwa 3 % des
Sees sind mit Seerosen bedeckt. Noch sind noch 97 % der Wasserfläche frei. Doch
jetzt geht es ganz schnell: 6 %, 12 %, 24 %, 48 %, 96 % – bum! Ende September
ist der ganze See mit Seerosen bedeckt. Keine freie Wasserfläche ist mehr
vorhanden. Dabei sah zwei Wochen vorher noch alles ganz prima aus: drei Viertel
der Wasserfläche waren noch frei. Das volle Ausmaß der Katastrophe wurde erst
in den letzten Tagen sichtbar. Ein kluger Beobachter hätte das schon im April
voraussehen können, zu einer Zeit, wo man noch gegensteuern konnte. Doch
wahrscheinlich hätte man ihn als Miesmacher verschrien.
Genau so geht es auch beim Wirtschaftswachstum. Die Funktion
ist die Gleiche, es geht nur etwas langsamer. Bei fünf Prozent
Wirtschaftswachstum haben wir die Verdoppelung nach fünfzehn Jahren. Nach
dreißig Jahren vierfach, nach fünfundvierzig Jahren achtfach... und nach
hundertfünfzig Jahren tausendfach.
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