Mittwoch, 31. Oktober 2012

Kapitel 3.12 – Freies Schenken

Auszug aus dem Buch »Gradido – Natürliche Ökonomie des Lebens«


»Freies Schenken ist ein wesentlicher Bestandteil unseres Wirtschaftssystems. Während es früher darauf ankam, möglichst hohe Gewinne zu erzielen, gilt es beim Freien Schenken mit möglichst wenig Aufwand sich selbst und anderen  möglichst großen Nutzen oder möglichst große Freude zu bereiten. Dabei ist eine direkte Gegenleistung nicht so wichtig, weil Nutzen und Freude auf den Frei Schenkenden mehrfach zurückfallen.«
– Joytopia

Ähnlich wie die Freiheit ist auch das Thema »Schenken« bei uns sehr stark emotional belegt. Es gibt Dinge, die kann man nicht kaufen. Man bekommt sie geschenkt – oder auch nicht. Dazu gehören Liebe, Anerkennung, Vertrauen, Aufmerksamkeit, Dank..., also im wesentlichen die immateriellen Güter, die das Leben lebenswert machen. Doch auch materielle Dinge werden manchmal noch geschenkt. In allen Kulturen gibt es Schenk-Rituale und Schenk-Feste. Kinder setzen sich ganz selbstverständlich bei ihren Eltern an den Tisch, um gemeinsam mit ihnen zu essen. Und wenn Freunde einander einladen, gehört das gemeinsame Essen als Geste der Gastfreundschaft sehr oft mit dazu.

There is a free lunch!


Kaum ein anderes volkswirtschaftliches Dogma richtet wohl mehr Unheil an, als der kleine unscheinbare Satz »There is no free lunch« (Es gibt kein kostenloses Mittagessen). Diese volkswirtschaftliche Grundannahme meint, dass alles seinen Preis habe. Damit ist alles auf dieser Welt zur käuflichen Ware geworden. Alles, was dem Menschen in seinem innersten heilig ist, seine Sehnsüchte, sein Wunsch nach Liebe und Geborgenheit, sein Urvertrauen, seine Gastfreundschaft..., mutiert dadurch zu einem Marktplatz oder wird als naive Sozialromantik abgetan.

Der Satz »There is no free lunch« und die dahinter stehende Philosophie des Käuflichen hat schon viel Vertrauenspotenzial in uns zerstört. Inzwischen sind wir alle »gebrannte Kinder«. Hinter jedem Geschenk vermuten wir eine Absicht. – »Was will der andere von mir?« – »Welches Gegengeschenk erwartet er oder sie von mir?« – »Wie kann ich das wieder gutmachen?« – So oder so ähnlich lauten die Gedanken, die uns ganz automatisch durch den Kopf schießen. Es erscheint uns unangebracht, ein Geschenk »einfach so« anzunehmen. Und mal ehrlich: können wir noch ganz ohne Erwartung schenken? Erwarten nicht auch wir etwas zurück zubekommen?

Erwartungen können niemals im Hier und Jetzt befriedigt werden. Sie beziehen sich immer auf die Zukunft. Wenn wir etwas schenken in der Erwartung, später etwas zurück zubekommen, entsteht dadurch ein Schuldverhältnis. Wir bringen den anderen in unsere Schuld, ganz gleich ob er sich dessen bewusst ist oder nicht. Der Satz »Ich schulde dir Dank« bringt es auf den Punkt. Sobald wir mit einer Erwartungshaltung schenken, haben wir uns dem Konzept von Schulden verschrieben. Und aus dem Konzept der Schulden folgt das System der Schuldgeldschöpfung.

Freies Schenken will genauso wiedererlernt sein wie bedingungslose Liebe. Auch Liebe ist heutzutage vielfach mit Erwartungen verbunden. Leider. Denn erst wenn wir unsere Erwartungen loslassen, können wir wahre Liebe erfahren. »There is no free lunch«, dieser kleine hinterhältige Satz macht aus jedem Geschenk einen Handel und aus Liebe Prostitution. Er hat mit dazu beigetragen, die Menschheit von ihrem wahren Wesen zu trennen und ihre wertvollsten Schätze auf einem globalen Basar zu Markte zu tragen.

Wie können wir das freie Schenken wieder lernen? Wie können wir uns aus den Verstrickungen der bewussten und unbewussten Erwartungen befreien? Wie können wir wieder unschuldig – schuldenfrei – werden? Wie immer hilft uns auch hier die Bionik, die Beobachtung der lebendigen Natur. Wir können das freie Schenken von denen abschauen, die es noch nicht verlernt haben: Tiere und kleine Kinder zeigen ganz offen ihre Bedürfnisse. Wir Erwachsenen nennen dies »betteln« und versuchen es ihnen abzuerziehen. Doch was ist falsch daran, seine Bedürfnisse zu zeigen? Wäre unsere Kommunikation untereinander nicht viel einfacher, wenn wir ganz offen sagen würden, was wir uns wünschen, ohne beleidigt oder beschämt zu sein, wenn die anderen unsere Wünsche nicht erfüllen?

Doch Tiere und kleine Kinder zeigen nicht nur ganz offen ihre Bedürfnisse. Sie schenken uns auch ihre bedingungslose Liebe, ganz ohne Hintergedanken – zumindest, solange wir ihnen noch keine Erwartungshaltung antrainiert haben. Das Lächeln eines kleinen Kindes ist ein Geschenk für uns – einfach so. Das Kind ist noch nicht in der Lage zu denken: »wenn ich Mama jetzt ein Lächeln schenke, dann gibt sie mir zu essen«. Und es denkt sich auch nicht: »wenn Mama mir jetzt die Brust gibt, dann muss ich dafür aber nachher ganz brav sein und durchschlafen«.

Zum freien Schenken gehören also zwei Dinge: einerseits seine Bedürfnisse offen zu kommunizieren und andererseits freiwillig ohne Hintergedanken zu schenken, wenn einem danach ist. Je mehr wir die Qualität des freien Schenkens wieder erlernen, desto leichter fällt es uns, wahren Wohlstand für alle zu schaffen.

Wie kann freies Schenken in einer Gemeinschaft funktionieren? Lassen Sie mich dazu eine Geschichte erzählen...



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