Mittwoch, 31. Oktober 2012

Kapitel 3.13 – Der leere und der volle Topf

Auszug aus dem Buch »Gradido – Natürliche Ökonomie des Lebens«


Es war einmal ein kleines globales Dorf. Dort lebten allerlei geschickte Leute: Bauern, Müller, Bäcker, Metzger, Maurer, Zimmerleute, Lehrer, Heiler, Politiker und viele andere Berufe. Für jeden Bedarf gab es auch einen Beruf, der diesen Bedarf decken konnte. Die Natur beschenkte die Bewohner mit gutem Wetter. Regen und Sonnenschein wechselten sich ab, so dass alles gut wuchs und gedieh.

Eigentlich wäre es das Paradies auf Erden, gäbe es da nicht einen seltsamen Brauch, den vorwiegend die Politiker pflegten: sie liefen mit Töpfen herum und nötigten die anderen Bewohner, Geld hinein zu werfen. Es gab große Töpfe und kleine Töpfe, Haupttöpfe und Nebentöpfe, Töpfe ohne Deckel und gedeckelte Töpfe..., jeder Topf hatte seinen bestimmten Zweck.

Ach ja, beinahe hätte ich es vergessen: es gab auch noch einen Berufsstand der sich »Bankster« nannte. So ganz genau wusste man nicht, was die eigentlich taten. Doch sie hatten zuvor den Politikern und den anderen Bewohnern das Geld geliehen, damit diese untereinander Handel treiben und vor allen die Töpfe der Politiker füllen konnten. Welch segensreicher Berufsstand! Ohne die Bankster hätten die Bewohner zwar alles herstellen können, was in dem kleinen globalen Dorf gebraucht wurde. Ja, sie hätten sogar einige Luxusgüter herstellen können, die zwar nicht unbedingt gebraucht würden, aber das Leben verschönern und Spaß machen. Aber wie hätten sie ihre Produkte verkaufen können ohne Geld? Dieses wahrhaft existenzielle Problem lösten ihnen die Bankster gerne, in dem sie ihnen Geld liehen.

Es war genial: auf einmal florierte der Handel. Jeder konnte seine Produkte verkaufen, und alle waren so glücklich, dass niemand auf die Idee kam zu fragen, woher denn die Bankster eigentlich das Geld hatten. Die Frage war auch nicht wirklich wichtig; denn es funktionierte alles bestens, und jeder andere Berufsstand hatte ja auch so seine Berufsgeheimnisse...

Einmal im Jahr forderten sie Zinsen von allen Bewohnern, die Geld von ihnen geliehen hatten, insbesondere von den Politikern, die diese willig aus ihren Töpfen bezahlten. Zunächst fiel das nicht auf, doch dann wurden die Schulden immer höher und die Töpfe immer leerer. Wir wissen nicht ganz genau, was die Bankster mit den vielen Zinsen machten. Vermutlich investierten sie diese in lukrative Wachstums-Märkte. Hin und wieder passierte es, dass sich einige Bankster verkalkulierten und drohten, Pleite zu gehen. Die Politiker unternahmen alles, um sie zu retten – bis dann eines Tages alle Töpfe leer waren. Der Oberpolitiker mottete die kleineren Töpfer ein, nahm den »Staatstopf«, der auch leer war, unter den Arm und rief alle Repräsentanten der Bewohner an einen runden Tisch.

„Der Topf ist leer“, sprach der Oberpolitiker, „wir müssen den Gürtel enger schnallen. Wir haben viel zu lange über unsere Verhältnisse gelebt. Anstatt pflichtbewusst alle unsere Zinsen an die Bankster zu bezahlen, haben wir Straßen gebaut, kranke und alte Menschen versorgt, unsere Kinder in die Schule geschickt und viele andere unproduktiven Dinge finanziert. Damit muss jetzt Schluss sein. Denn der Topf ist leer.“

Resigniert stimmten die Einwohner zu. Gemeinsam hatten sie zwar alle Fähigkeiten und Ressourcen, um ein angenehmes Leben für alle zu gewährleisten. Doch ohne Geld schienen jedem Einzelnen die Hände gebunden zu sein. Keiner konnte mehr seine Rechnungen bezahlen, geschweige denn Löhne für die Mitarbeiter. Die Folge war Arbeitslosigkeit, Armut und Hunger.

"Ich hab eine Idee, wie wir den Topf füllen können, so dass genug für alle da ist!", meldete sich ein kleines Mädchen. Eigentlich hätte sie gar nicht an der Versammlung teilnehmen dürfen. Doch ihre Eltern konnten sich keine Kinderbetreuung mehr leisten und hatten sie deshalb mitgenommen.

"Wozu brauchen wir das Geld der Bankster?  
Stellt euch vor, sie haben alles Geld – und keiner braucht es!
Lasst uns ab sofort unsere Gaben und Fähigkeiten einander schenken! Dann werden alle satt, haben Freude, und es wird noch eine Menge übrig bleiben. Ab jetzt fragen wir nicht mehr, was wir aus dem leeren Topf herausnehmen können, sondern was jeder von uns in den gemeinsamen Topf einbringen kann.“

Der Anführer lachte verächtlich und murmelt etwas von kindischer »Sozialromantik«, schließlich seien alle arm und niemand hätte etwas zu verschenken.

"Wirklich nicht?" fragte das Mädchen, "Wir haben doch alle Berufe: Bauern, Bäcker, Handwerker, Künstler, Wissenschaftler und vieles mehr. Wollen wir etwa hungern, bloß weil kein Geld da ist? Das könnten wir sowieso nicht essen. Wenn jeder tut, was ihm am besten liegt und seine Leistungen schenkt, dann sind wir gemeinsam reich, und wir haben einen übervollen Topf, aus dem jeder satt wird!"

Das überzeugte die Leute. Der Oberpolitiker wurde überstimmt, und sie machten sich ans Werk. Nach kurzer Zeit kehrte der Wohlstand zurück in das kleine globale Dorf. Der gemeinsame Topf wurde übervoll. Es herrschte überfließende Fülle.

Als die Bankster das hörten, gefiel ihnen das überhaupt nicht. Sie hatten zwar alles Geld, wollten aber auch noch die Zinsen kassieren, die überhaupt nie existiert hatten. Als sie dann noch die Grundstücke und Immobilien einforderten, mit denen die Schulden besichert waren, flog ihr Schwindel auf. Dabei hatten sie großes Glück, denn die Bewohner des Dorfes waren von Natur aus gutmütig und beschlossen, von einer Bestrafung abzusehen. Schließlich hätten alle in diesem Spiel mitgespielt. Die ehemaligen Bankster bekamen dann wie alle anderen das Recht der Bedingungslosen Teilhabe, sich mit ihrem vollen Potenzial in die Gemeinschaft einzubringen und dafür von der Gemeinschaft mitversorgt zu werden.

Einige Menschen leisteten deutlich mehr als andere. Das war nicht schlimm, denn die Leistungen waren freiwillig, und es war ja genug für alle da. Man beschloss, dass Leistungen belohnt oder »bedankt« werden sollen. Allerdings sollte nie mehr Geld durch Schulden geschöpft werden. Das mutige Mädchen, das den Wandel initiiert hatte und deshalb großes Ansehen genoss, schlug vor, ein neues Geldsystem nach dem Vorbild der Natur zu entwickeln. Soweit die Geschichte.

Können Sie sich vorstellen, dass ein Kind die Welt verändern kann? Lassen Sie uns das Thema Schenkwirtschaft kurz unterbrechen für die Rede die die zwölfjährige Severn Suzuki vor den Vereinten Nationen gehalten hat...

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